IDEE
Der Entwurf setzt auf kompakte urbane Stadtbaukörper, den weitgehenden Erhalt des großzügigen Landschaftsraums westlich der B455 und das miteinander in Beziehung setzen von neuen und bestehenden Strukturen. Die Vernetzung erfolgt über Freiräume, welche gleichwohl zur Gliederung der städtebaulichen Einheiten beitragen sowie für eine Einbettung in die Landschaft sorgen. Der Landschaftsbezug ist prägendes Element des Entwurfs und spielt bei der Identitätsbildung in der Gesamtheit Ostfelds eine entscheidende Rolle. Dabei kommt der Diversität der räumlichen Konfiguration eine besondere Bedeutung zu. Neben dem unmittelbaren Aufeinandertreffen von zum Teil verdichteter Stadt und offener Landschaft entstehen vielfältige Kombinationen räumlicher Strukturen. Die abwechslungsreiche Verknüpfung von Neubaustrukturen unterschiedlicher Dichte, den Siedlungsstrukturen der Nachkriegszeit, den Jahrhunderte alten Befestigungslinien, der landwirtschaftlichen Flächen, der renaturierten Bachtäler, der neuen Gartenlandschaft und der intensiv nutzbaren Freizeitlandschaft führt zu einer Multikodierung mit unverwechselbaren Stadträumen im Wiesbadener Südosten.
vielfältig und vernetzt_Der Bereich Ostfeld verbindet bereits im Bestand höchst gegensätzliche strukturelle Konzepte. Ausgehend von den gewachsenen Strukturen, z.B. mittelalterlicher Dorfkerne wie Erbenheim entwickelt sich ein breites Spektrum unterschiedlicher Morphologien, nicht nur im Städtebau. Auffallend ist der hohe Anteil nutzungsgetrennter Strukturen. Die neuen Quartiere setzen das Prinzip der Diversität fort, da sie über
eine eigene Körnung und Morphologie verfügen. Ein Nutzungsmix von diversen Wohnformen, Gewerbe, Nahversorgung, Gastronomie, soziale Infrastruktur, Erholung und kulturellen Angeboten sorgt in der Biehlerstadt für Vielfalt und schafft in Verbindung mit der Dichte eine Stadt der kurzen Wege. Die Freiräume stiften hierbei den gewünschten Zusammenhang.
resilient und verdichtet_Das Main-Taunusvorland ist seit Jahrtausenden eine Kulturlandschaft in stetiger Veränderung. Natur und Kultur überlagern und durchdringen sich, sodass sich das Eine vom Anderen kaum trennen lässt. Die Entwicklung des Ostfelds fügt sich dort ein, ohne Intensitätsverlust der einzelnen Elemente - sie verstärken sich vielmehr. Biotope werden geschützt und miteinander vernetzt. Den Strömen von bodennaher Kaltluft und Wasser aus dem Taunus wird nichts entgegengestellt. Die Bebauung passt sich in die fließende Struktur der Natur ein. Sie verdichtet sich in den zentralen Bereichen hochgradig urban und setzt damit ebenso Zeichen. Das dichte Nebeneinander von Natur und Kultur fördert Naturerfahrungen sowie ein Naturverständnis, bei dem sich der Mensch als Teil eines größeren Ganzen versteht.
synergetisch und sozial_Durch die Autobahnen und der ausgebauten Bundesstraße besteht vor Ort seit langem ein Lärmproblem. Dieses Problem wird über eine geschickte Zonierung verschiedener Maßnahmen deutlich reduziert. Insgesamt bringt die Stadterweiterung einen großen Gewinn für die Bewohner der bestehenden Quartiere, z.B. an der Boelckestraße, da öffentlich nutzbare Freifläche gewonnen wird und sich die Versorgungssituation vor Ort verbessert. Neben der Nahversorgung durch Einzelhandel und soziale Infrastruktur ergeben sich vor allem Flächen für Sport und Freizeit. Auf der Ebene produktiver Landschaft verbindet sich die Nahversorgung mit der Freizeitnutzung. Urbane Agrarformen ermöglichen eine lokale Nahrungsmittelproduktion im unmittelbaren Wohnumfeld. Die Gartenbänder sind außerdem soziale und kommunikative Begegnungsorte, die das Zusammenleben auf Quartiersebene stärken.
GLIEDERUNG
Die wesentliche Gliederung des Bereichs Ostfeld erfolgt durch die Landschaft. Bachtäler einschl. der Zäsuren der verkehrlichen Infrastruktur, Deponiekörper und offen gelassene Steinbrüche wirken hier ebenso prägend wie die Aussicht in Richtung der Rheinebene oder zum Taunus. Auf der heterogenen Westseite Erbenheims wird die Stadt weitergebaut - hier ergänzt der BKA-Campus den gewerblich geprägten Bestand. Darüber hinaus ist die leichte Topografie um das ehemalige Fort Biehler maßgebend für den Zuschnitt und die Ausrichtung des neuen Stadtquartiers, der Biehlerstadt.
BKA-Campus_Der Campus versteht sich zwar als Ergänzung Erbenheims, wird aber aufgrund seiner besonderen Nutzung relativ eigenständig wahrgenommen. Er gliedert sich mit den Clustern 1-5 in einen größeren nördlichen und mit den Clustern 6 und 7 in einen kleineren südlichen Teil, womit der Entwurf auf die Einschnürung des Grundstücks reagiert. Beide Campusbereiche verfügen im Zentrum über großzügige Freiflächen, welche über eine zentrale Achse miteinander verbunden sind. Zwischen den beiden Campusbereichen verläuft ein Grünzug in Ost-West-Richtung zur Gliederung, Frischluftversorgung und zur Freiraumanbindung der Sport- und Bewegungsflächen im südlichenTeil. Zum gesicherten Bereich des BKACampus werden insgesamt 4 Zugänge von Osten und Süden vorgeschlagen - jeweils zwei pro Teilbereich mit eigenen Schwerpunkten. Liegt der Schwerpunkt im Norden auf der MIV-Erschließung einschl. Anlieferung, so ist der Zugang von Süden auf Fußgänger und Radfahrer beschränkt, zumal hier ein Bahnhaltepunkt an der Trasse der Ländchenbahn eingerichtet wird und ein großes Parkhaus den ruhenden Verkehr außerhalb des gesicherten Bereichs abfängt. Die Garage legt sich wie ein Schutzschild gegen den Verkehrslärm um den südlichen Campusbereich. An exponierter Stelle gleich daneben wird das Besucherzentrum vorgeschlagen, welches mit allen Verkehrsmitteln optimal zu erreichen ist.
Biehlerstadt_Das neue Stadtquartier legt sich wie ein perforiertes Band um das ehemalige Fort Biehler. Es beginnt im Norden back to back zu der Bebauung an der Boelckestraße mit einem Quartier aus verdichteten Eigenheimtypologien und 3-geschossigem Geschosswohnungsbau. In der südwestlich anschließenden Nachbarschaft erhöht sich die Geschossigkeit auf 4 bis max. 6 und damit auch die bauliche Dichte einschl. der Nutzungsmischung. Im darauf folgenden Quartier erhöht sich die Dichte mit einer Bauhöhe von 4-10 Geschossen nochmals. Es handelt sich dabei um das Zentrum des neuen Stadtteils, welches zugleich als Gelenk fungiert, schließlich erfolgt hier der Richtungswechsel der Bandstadt nach Osten. Im zentralen Quartier verfügt jedes Haus über eine vertikale Mischung. Hochgradig urban sind nahezu alle Erdgeschosse durch Einzelhandel, Gastronomie oder kleinteiliges Gewerbe aktiviert. In der Mitte befindet sich ein Platz am Knotenpunkt der wichtigsten Nahmobilitätsachsen. Aufgrund der Nähe zur Autobahn erhält dieses Quartier auf der Südseite eine Gewerbebebauung als Lärmpuffer. Gleiches gilt für den östlich anschließenden Bereich, wo die Gewerbebebauung annähernd hoch bleibt, sich die Wohnbebauung aber auf eine Höhe von 4-6 Geschossen beschränkt. Die Bebauung schließt im Osten kurz vor der B455 mit dem Neubau für das AZH ab.
FREIRAUM
An der ehemaligen Mainzer Wehranlage im Umfeld des Fort Biehler befanden sich über viele Jahrzehnte landwirtschaftliche Nutzungen wie Ackerflächen und Streuobstwiesen. Im Wandel zu einer industrialisierten Landwirtschaft und mit der Flurneuordnung sind viele dieser vorherigen Qualitäten des Ostfeldes verloren gegangen. Und auch mit dem Dyckerhoffbruch wurde die Landschaft radikal transformiert.
Drei Landschaftsbereiche_Der Ansatz deckt Spuren aller Zeit- und Transformationsschichten auf, um darauf ein neues Freiraumkonzept aufzubauen. Dazu zählen gleichermaßen die morphologischen Verwerfungen, die Zugänglichkeit der Aufschlüsse in die Zeitgeschichte – die einem Geotop gleichen – sowie das Lesbarmachen historischer Kulturlandschaftsstrukturen. Entsprechend schlagen wir eine ineinander übergehende Dreiteilung vor:
1. Die westliche Industrielandschaft, deren Industriespuren und die spontane Ruderalvegetation sichtbar bleiben und inszeniert werden;
2. Die östliche Kulturlandschaft, in der die landwirtschaftliche Nutzung erhalten bleibt, um Gehölze ergänzt wird und die Umgebung über die B455 visuell einbezieht;
3. Und die neue in der Mitte liegende ‚Biehler Landschaft‘, in der sich Industriespuren, kulturlandschaftliche Nutzung und Mitmach-Landwirtschaft als Landschaftspark miteinander verweben.
Das stark zerschnittene Wäschbachtal wird nach historischem Vorbild mit Streuobstwiesen gestaltet, die von den neuen Bewohner:innen gepachtet werden können, aber auch entsprechend des Leitbilds einer energieautarken Siedlung um Photovoltaik-Bänder ergänzt.
Prägende Strukturen_Für die örtliche Identität prägende Strukturen werden hervorgehoben und durch prominente Baumpflanzungen wie Alleen und Reihen hervorgehoben. Dazu gehören Wege, die schon vor der letzten Flurneuordnung an gleicher Stelle lagen. Ausgeräumte Bereiche hingegen werden um neue Strukturen für die Biodiversität, aber auch für den alltäglichen Aufenthalt beim Spaziergang, ergänzt – Feldgehölze, Solitärbäume, Blühstreifen und kleine Picknickflächen. Die mittlere ‚Biehler Landschaft‘ vereint alle Ansätze in sich und bietet darüber hinaus weitere Wiesenflächen für Freizeitsport und das Spielen in der Natur, zwischen ehemaligen Sukzessionsstrukturen und neuen Urban-Gardening-Flächen.
Seen_Die neuen Badeseen bieten zugleich Rückzugsraum und Bühne für den Genuss von Sonne, Wasser und Natur und stellen damit einen Höhepunkt in der Landschaft dar. Sie vereinen die Grabungen der Industrielandschaft mit der neuen Parklandschaft.
Landschaftspromenade Biehlerstadt_Ausgehend von den neuen Seen erstreckt sich nach Nordosten eine Landschaftspromenade als Stadtkante der neuen Biehlerstadt. Von ihr ergeben sich vielfältige Ausblicke in die Ebene, zur Industrielandschaft und auf den Taunus im Hintergrund.
Stadtteilpark_Rund um das historische Fort Biehler entsteht ein Stadtteilpark, welcher die kleineren Quartiere miteinander verbindet und alle Bewohner:innen zusammenführt. Hier entsteht eine urbane Park-Atmosphäre im Übergang zur Bebauung, während auf dem baumbestandenen Hügel Raum für Ruhe und Kontemplation bleiben.
Kalkofen-Ränder_Rund um den Kalkofen ist eine einzigartige Vegetation entstanden. Auf neuen kleinen Pfaden werden Einblicke in dieses Naturschauspiel ermöglicht. Auf den Wiesen zwischen Kalkofen und BKA-Quartier entwickelt sich zudem eine Hochstaudenflur, die in ihren gemähten Intarsien zum Picknick einlädt.
VERKEHR
Die drei Landschaftsbereiche verbinden sich mit dem differenziert ausgebildeten Nahmobilitätsnetz der Biehlerstadt. Es verknüpft die multimodalen Knotenpunkte mit den Plätzen sowie den Schulen, Sport- und Freizeiteinrichtungen unabhängig vom MIV. Ein attraktives Fuß- und Radwegesystem ist daher ein wichtiger Baustein für ein innovativen Verkehrskonzepts. Insofern wird hier zwischen der inneren und äußeren Erschließung unterschieden. Die multimodalen Knotenpunkte bilden die Schnittstelle zwischen beiden Systemen. Sie bestehen aus der Verbindung von Bahn/Bushaltestellen und Quartiersgaragen mit E-Ladestationen, Car-Sharing-Angeboten und Packstationen.
Nahmobilität_Wesentliches Element der inneren Erschließung sind autofreie Wegeverbindungen. Es werden unter anderem landschaftlich gestaltete Promenaden angeboten, sowohl für den Alltag wie für das Wochenende - unterschiedlich in der Charakteristik und Aufenthaltsqualität, wie in der Nutzungsgeschwindigkeit. Es handelt sich um Orte des Austauschs, der Aktivität und des Verweilens mit unterschiedlichen Ausprägungen, welche dem Leben in den Quartieren eine Besonderheit verleihen. In Ergänzung zu den großzügigen landschaftlich geprägten Promenaden bieten zudem urbane Achsen kurze Wege durch die Quartiere oder entlang ihrer Kanten. Sie verklammern die Schulstandorte mit den Nahversorgungszentren und weiten sich im Übergang zu öffentlichen Einrichtungen zu kleinen Nachbarschaftsplätzen auf. Die meisten urbanen Achsen verfügen an den Eck- und Endpunkten über multimodale Knotenpunkte, sodass innere und äußere Erschließung optimal ineinandergreifen.
Öffentlicher Verkehr_Die primäre Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz erfolgt über die neue Bahntrasse. Die Trasse erhält über die Ländchenbahn eine Anbindung nach Wiesbaden. In die andere Richtung wäre eine Anbindung an einen neuen Haltepunkt Kostheim-Ost in Anbindung an das nördlich und südlich des Mains gelegene S-Bahnnetz sinnvoll. Ergänzend verkehren Buslinien im Stadtteil und sorgen für eine lückenlose Abdeckung der Quartiere. Die Busse stellen zudem eine Verknüpfung zu den benachbarten Stadtteilen her, welche nicht über den Schienenverkehr erreichbar sind.
Motorisierter Individualverkehr_Der MIV wird in einem hierarchisierten System durch den Stadtteil geführt. Ein wesentliches Element der Vorrangschaltung des öffentlichen Verkehrs und der Reduktion des MIV liegt in der Konzentration aller Stellplätze in Quartiersgaragen. Hier besteht für die Bewohner nicht nur die Möglichkeit zur Unterbringung ihrer Fahrzeuge, sondern es handelt sich auch um CarSharing-Standorte mit einem breiten Angebot vom Transporter bis zum Sportwagen. Darüber hinaus werden Fahrrad- und Packstationen integriert und Ladestationen für E-Autos und EBikes vorgehalten. Um die Landschaft und die Grünzüge so wenig wie möglich zu stören, erhält der neue Stadtteil nur wenige Zufahrten von außen. Dabei erfolgt die primäre Anbindung über die Straße Zum Friedhof und die Anna-Birle-Straße.
NACHHALTIGKEIT
Der neue Stadtteil reagiert auf die veränderten Lebensbedingungen durch den Klimawandel und hat gleichzeitig zum Ziel, klimaneutral zu sein. Das Konzept greift die Herausforderungen der Energiewende im urbanen Raum auf und zielt auf eine sektorenübergreifende Vernetzung der Gebäude- und Mobilitätsinfrastruktur. Ziel ist das „Smarte Quartier“, das eine effiziente Energieversorgung und einen ressourcenschonenden Umgang mit Baumaterialien beinhaltet. Hierzu werden möglichst viele Neubauten in Hybrid- oder Holzbauweise realisiert oder ausgestaltet, sodass in Zukunft flexibel auf mögliche Nutzungsänderungen baulich reagiert werden kann. Neubauten werden hierbei im Standard KfW Effizienzhaus 55 oder besser
gebaut.
Energie_ Für einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz werden alle Dachflächen konsequent mit Photovoltaikanlagen ausgestattet. Die erforderlichen Retentionsqualitäten werden durch eine Kombination mit extensiver Begrünung oder der Nutzung von Mäanderplatten bzw. samenfreiem Substrat erreicht. Der lokal erzeugte Solarstrom wird z.B. blockweise im Rahmen von Mieterstromprojekten zur Deckung des elektrischen Strombedarfs verwendet. In den Energiezentralen erzeugen mit Biogas betriebene Blockheizkraftwerke zusätzlichen Strom. Der lokal erzeugte Strom (PV, BHKW) soll über ein quartiersübergreifendes Energiemanagementsystem für die Gebäude und für die Mobility-Hubs nutzbar
gemacht werden. Energiespeicher in den Mobility-Hubs sorgen für eine hohe Stromeigenversorgung und genügend Leistung für die E-Mobil-Ladeinfrastruktur. Stromüberschüsse aus erneuerbaren Energien sollen in den Gewerbegebieten zur Wasserstoff-Herstellung in einem Elektrolyseur genutzt werden. Grüner Wasserstoff steht als emissionsfreier Treibstoff für die Buslinien zur Verfügung oder kann durch Wasserstoff-Tankstellen in den Gewerbegebieten auch für den Individualverkehr zugänglich gemacht werden.
Wasser_Das anfallende Regenwasser wird in den Quartieren vollständig über ein multicodiertes, grün-blaues System genutzt. Der Niederschlagsabfluss wird entlang der topographischen Wasserscheide abgeleitet. Retentionsdächer und offene Mulden-Rigolen-Systeme geben das angesammelte Wasser an offene Kanäle oder unterirdische Leitungssysteme ab. Ziel ist es, das gesamte Regenwassersystem in seinem nachhaltigen Ansatz sicht-, nutz- und erlebbar zu machen.