Der Entwurf im Detail
Landschaft:
Der Stadtteil Ostfeld Wiesbaden zeichnet sich durch seinen besonderen landschaftlichen Kontext aus: es handelt sich um eine zerklüftete, stark überformte Landschaft aus der sich über Jahrhunderte ein wertvolles Palimpsest aus sich überlagernden Strukturen entwickelt hat. Die verschiedenen Schichten erzählen die Geschichte des Ortes. Entsprechend respektvoll und sensibel gilt es mit dem Ort umzugehen. Das Ziel des Entwurfs besteht darin, die zum Teil widersprüchlichen Strukturen in einen Gesamtzusammenhang zu bringen, ihre spezifische Identität herauszuarbeiten und für die Bewohner erlebbar zu machen.
Die historischen Kulturlandschaftsdenkmale wie das Fort Biehler, die Mainzer Landwehr, der Petersberg und auch die jüngeren Überformungen durch die Deponien I und II sowie der Abbaubereiche werden renaturiert und ökologisch aufgewertet. Aufgeschüttete Erhebungen werden ins übergeordnete Wegenetz eingebunden und an strategischen Punkten über Aussichtstürme überhöht. Von hier aus wird die Vielfalt der Kulturlandschaft und der übergeordnete landschaftliche Zusammenhang über Blickbeziehungen zu den beiden Städten Wiesbaden und Mainz bis hin zum Taunus und in die Rheinauen greifbar.
Das Biotop Kalkofen wird mit den Ausgleichsflächen der Deponie und den renaturierten Bereichen des Abbaugebiets zu einem hochwertigen Biotopverbund entwickelt. Die Durchwegung soll hier minimalinvasiv und in Teilen über schwebende Stege realisiert werden. Die Besuchenden profitieren von der neuen Zugänglichkeit dieser besonderen Landschaften und dem damit erschlossenen Verständnis der Sukzessionsprozesse für die vom Menschen überformten Landschaften.
Als neue, grüne, verbindende Infrastruktur wird der „Boulevard der Kulturgärten“ in die bestehende Agrarlandschaft integriert. Dieser strukturreiche Grünzug rahmt zu beiden Seiten den übergeordneten Schnellradweg, sowie weitere Spazierwege. Er vernetzt die landwirtschaftlichen Flächen und das neue Quartier mit dem BKA-Standort und der Innenstadt Wiesbadens. Die teilweise öffentlich, gemeinschaftlich, oder privat genutzten Gärten kreieren mit ihren Streuobstwiesen einen malerischen Bezug zur Landschaft und verzahnen diese mit den intensiv genutzten landwirtschaftlichen Bereichen. Sie schaffen außerdem attraktive Begegnungsorte und bieten die Möglichkeit für den Eigenanbau von Obst und Gemüse aller Bewohner. Sie laden zum spontanen Naschen von Früchten alter Streuobstarten auf dem Heimweg ein und ziehen Innenstadtbewohner hinaus in die neue Landschaft. Der „Boulevard der Kulturgärten“ soll ein landschaftlicher Begegnungsort werden, der noch vor dem ersten Bauabschnitt umgesetzt wird und die kommenden Entwicklungsflächen frühzeitig für die Stadtgesellschaft zugänglich und attraktiv macht.
Die Strukturvielfalt von Hecken, Trockenmauern und Obstwiesen, die Versuchsflächen mit alten Obst- und Gemüsesorten fördern die Biodiversität innerhalb der bestehenden landwirtschaftlichen Flächen. Der „Boulevard der Kulturgärten“ lädt zur Auseinandersetzung mit der historischen Bedeutung der Landwirtschaft und dem hochaktuellen Thema der regionalen Lebensmittelproduktion ein. Parallel zum Boulevard verläuft die Bahntrasse, welche durch Modellierung in den bestehenden Landschaftsraum eingebettet wird.
Stadtteil auf dem Ostfeld:
Als zukunftsweisender und innovativer Stadtteil befindet sich das Ostfeld wie ein Trittstein zwischen den Zentren der Städte Wiesbaden und Mainz. Die Lage in mitten der starken Wirtschaftsregion zeigt die facettenreichen Entwicklungschancen, wie beispielsweise die Entwicklung des neuen BKA-Standorts im Norden auf. Gleichzeitig verlangt die Bebauung des heute offenen Landschaftsraums einen besonders bewussten Umgang mit den wertvollen Bodenfunktionen.
Der Entwurf zielt daher auf kompakte Stadtbausteine ab, die Wohn- und Arbeitsflächen über entsprechende Höhen generieren, während um das Gebiet großzügige Grünkorridore den Frischluftaustausch gewährleisten und über Fugen in die Quartiere leiten. Die hohe Bewohnerdichte erzeugt positive Auswirkungen auf ein vielfältiges Miteinander in urbanen Nachbarschaften.
Als durchmischtes Quartier der kurzen Wege liegt der Fokus auf der Entwicklung wohnraumnaher Arbeitsplätze. Die gute verkehrliche Anbindung über Schiene, Straße und Schnellradweg sowie die qualitätvollen Freiflächen im unmittelbaren Umfeld bilden die Basis für attraktive Arbeitsstandorte. Gleichzeitig sollen im neuen Stadtteil arbeitsplatznahe Wohnflächen entstehen: Sowohl für die Mitarbeitenden des BKAs, sowie für Mitarbeiter der im Süden und Westen anliegenden Gewerbegebiete entstehen hier familienfreundliche Nachbarschaften im Grünen.
Mit Ausnahme von Rettungs- und Anlieferungsbereichen wird ein autofreier Stadtteil angestrebt. Dieser wird über die gute Anbindung mit der Stadtbahn und einem (möglicherweise bald autonomen) Shuttle-Bus gewährleistet. Private PKWs werden an den vier Gebietseingängen direkt über Quartiersgaraden abgefangen. Das Umsteigen auf weitere Fortbewegungsmittel vom privaten Rad, über das geliehene Lastenrad, den E-Scooter und den Shuttle bis zum Roller wird durch angegliederte Mobilitätshubs vereinfacht.
Im Stadtteil entwickelt sich aus dem „Bouvard der Kulturgärten“ ein interner Stadtpark, der das Biehler Wäldchen samt Fort einfasst. Er verbindet die einzelnen Stadtbausteine und dient als Grünes Zentrum und Treffpunkt für alle Bewohner. Seine vielfältige Gestaltung schafft sowohl intensiv nutzbare Flächen für Spiel und Sport, sowie extensive, ökologisch hochwertige Flächen für Flora und Fauna sowie Wasserrückhaltung. Rückzugsorte im Biehler Wäldchen laden zum Verweilen ein.
Die Ränder des Parks werden allseits von angehobenen Promenaden begleitet, die den Blick über die Freiflächen eröffnen. Die Flaniermeile bietet optimale Orte für Außengastronomie jeglicher Art. Hochpunkte entlang der Promenade gliedern den linearen Bewerbungsraum und markieren die Querverstrebungen in Form von Platz- und Grünflächen, die in die zentrale, urbane Spange und weiter in die Wohnquartiere führen. An diesen Schnittstellen liegen wichtige Punkte der Erschließung (Haltestellen, Quartiersgaragen, Mobilitätshubs) sowie der sozialen Infrastruktur (Campus, Bürgerhaus, Stadtteilbibliothek) und der Versorgung (Büro, Einzelhandel und Dienstleistung).
Der neue Stadtteil auf dem Ostfeld funktioniert als Solitärbaustein, allerdings mit starkem Bezug zum Ort, zur umgebenden Landschaft und zur Geschichte:
Als möglicher erster Bauabschnitt liegt im Nordosten im Anschluss an die Siedlung am Fort Biehler das Pionierquartier. Die großzügigen Stadtquartiere fördern das Miteinander der Innenhofgemeinschaften. Die nördliche liegenden Selbstversorgergärten schließen an die Traditionen des Bestandbebauung und deren Ideen des selbstbestimmten Lebens als „Gallischen Dorfes“ an, führen diese aber in einer urbanen Form fort.
Westlich der urbanen Spange, die das Zentrum des gesamten Gebiets darstellt, gliedern sich weitere gemischte Quartiere, deren Fokus das Wohnen im Grünen ist. Die Strukturen öffnen sich zur Landschaft und lassen Licht und Luft einfluten. Das süd-westlich gelegene Quartier beherbergt die Flächen für das AZH. Diese können separat von Süden über bestehende Strukturen erschlossen werden.
BKA-Campus:
Die städtebauliche Setzung des BKA-Standorts hat bezüglich der Sicherheitsbedarfe eine Sonderstellung. Auch hier setzt der Entwurf auf Blickbeziehungen mit strategisch gesetzten Hochpunkten, die eine repräsentative Wirkung für passierende Bahn-, Fahrrad- und Autofahrer entfalten, während sensible Bereiche nicht-einsehbar im Inneren des Campus liegen. Die intensiv begrünten Dachflächen der zwei Hochgaragen eröffnen Ausblicke über den Campus hinaus. Außerdem fungieren sie als Verteilerflächen aus den Garagen in die jeweiligen Nutzungscluster und bieten zugleich einen Aktiv- und Erholungsraum. In den Stirnbauten der Garagen sind hochwertige und großzügige Büroflächen angesiedelt. Zwischen beiden Garagen spannt sich der Hauptcampus auf. Alle Bedarfsflächen werden in den Gebäuden unterschiedlicher Körnung untergebracht, deren Stellung zueinander kleine, grüne Platzflächen und Zwischenbereiche aufspannt. Im Süden befindet sich der Großteil der geforderten Sportflächen. Auf den Dachflächen werden weitere, qualitativ hochwertige Sportangebote geschaffen, sowie eine Laufstrecke im westlichen Grünraum. Das Logistikcluster befindet sich direkt am nördlichen Eingang ins Gebiet. Auf Ebene 0 sind alle Cluster durch eine zentrale Bewegungsachse verbunden, die auch die Parkierungsschwerpunkte verbindet. Hier verteilen sich die Mitarbeitenden zu Fuß, per Rad und Roller oder per automatisierter Ameise und gelangen so schnell an ihr Ziel. Die Achse ist ein belebter Bewegungsraum, dessen anliegende Nutzungen, wie Besucherzentrum und Kantine auch zum Aufenthalt einladen und alle Mitarbeitende des BKA zum Zusammenkommen animieren.
Der Haltepunkt des Schienenverkehrs im Süden wird über einen Platz im Grünen an die Campusfläche angebunden. Die Notausfahrt zur Autobahn funktioniert über die öffentlichen Erschließungsflächen des Schnellradwegs. Verbunden über den Südeingang entstehen für den BKA-Campus hier weitere Synergieeffekte: Die grüne Infrastruktur des „Boulevards der Kulturgärten“ kann als zusätzlicher Erholungs- und Bewegungsraum genutzt werden und fördert den Austausch der unterschiedlichen Nutzergruppen.
Energie und Nachhaltigkeit:
Neben der Nutzung von Dachflächen mit Photovoltaik, setzt das Energiekonzept auf eine nahezu fossilfreie und auf erneuerbaren Energien basierende Nahwärme-Strategie: So werden Solarthermieanlagen durch Geothermiefelder in Kombination mit Streuobstwiesen im Landschaftsraum verankert und um ein Erdbecken-Wärmespeicher im nördlichen Bereich des Petersbergs ergänzt. Das mit Wasser gefüllte und wärmegedämmte Erdbecken ist in den Untergrund integriert und wird über die Sommermonate von der Solarthermieanlage erwärmt. Die gespeicherte Wärme steht bis weit in den Winter zur Wärmeversorgung der Gebäude zur Verfügung und deckt die Bedarfe um rund 70 % ab. Das anfallende Niederschlagswasser wird auf Dächern und in Zisternen zurückgehalten und vollständig in den Grünflächen versickert.